01.12.2023

Die Rolle seines Lebens

Stelzenmann Thomas Wachsmann ist der Bote der ViertelSternStunde

Es ist wohl dieser Blick. Und es sind diese Augen. Blau. Sanft. Jung, lebendig, und uralt zugleich. Sie schauen in Dich rein. Bis in Dein Herz. Und dann – musst Du lächeln. Die ViertelSternStunde in St. Reinoldi, dieser ungewöhnliche Adventskalender, der die Menschen seit zehn Jahren allabendlich in Scharen aus dem Weihnachtstrubel in die alte Kirche auf dem Ostenhellweg lockt, lebt von Ritualen, berührenden Geschichten - und vom Stelzenmann Thomas Wachsmann. Als Bote lädt er die Menschen ein, ihm zu folgen – wer sich darauf einlässt, wird beschenkt. Mit 15 beglückenden Minuten.

„Das ist die Rolle Deines Lebens“, hat mal ein Marktmeister zu ihm gesagt. Das empfindet er auch so. Dabei hatte Thomas Wachsmann, in Ostriesland geboren, zunächst ganz andere Pläne. Er lernte Technischer Zeichner und kam 1994 nach Dortmund, um Stahlbau zu studieren. Die Begegnung mit „Robi, dem Zauberer“ veränderte sein Leben – heute ist der 49-Jährige ein Unterhaltungskünstler, Zauberer, Nikolaus, Weihnachtsmann, Osterhase, Ballonfiguren-Knüpfer – und als Stelzenmann ein Bote Gottes.

Mit der Idee zu den ViertelSternStunden ist Susanne Karmeier, Pfarrerin der Stadtkirche St. Reinoldi, und Kerstin Hanke, Pfarrerin in Dortmund, vor vielen Jahren selbst ein kleines Weihnachtswunder gelungen. 20-mal im Advent öffnen sich die Türen der Reinoldikirche um 18 Uhr zur ViertelSternStunde – und Abend für Abend ist die Kirche rappelvoll, wie man hier sagt. Einige kommen jeden Abend, sitzen schon erwartungsvoll da, wenn der Bote Thomas um halb sechs die Kirche verlässt und zu seiner Runde über den Weihnachtsmarkt startet. Andere folgen ihm, vollgepackt mit Einkaufstaschen oder mit quengelnden Kindern an der Hand, neugierig, unsicher, weil sie vielleicht schon lange in keinem Gotteshaus mehr waren.

„Ich bekomme eine in lila Seide eingeschlagene Bibel und einen leuchtenden Stern übergeben – und dann drehe ich eine halbe Stunde lang meine Runde über den Weihnachtsmarkt“, erzählt Thomas – und leuchtet dabei selbst ein bisschen. Auf Stelzen ist er drei Meter groß, ganz in weiß gekleidet, nicht zu übersehen. Etwa bis zum Alten Markt kommt er – wenn die 18-Uhr-Glocken läuten, muss er zurücksein. „Unser Timing wird von Jahr zu Jahr besser“, lächelt er.

„Ich liebe es, dann von hinten durch die Kirche zum Altar zu schreiten. Erst ist es noch ganz wuselig, laut, die Leute unterhalten sich – doch dann legt sich Ruhe über die Menschen…“ Wer einmal dabei war, der vergisst die Magie dieses Momentes nicht wieder. Am Altar angekommen, übergibt der Bote das Wort – also die Bibel – und das Licht an Susanne Karmeier, die sich ihm ein bisschen entgegenstrecken muss. Ein langer Blick zwischen den Beiden, auch hier: Große Ruhe. Dann dreht sich der Bote um, blickt ins Publikum, schaut gefühlt jeden einzelnen an – und mit dem letzten Glockenschlag geht es los: „Zeit für die ViertelSternStunde.“ Ein Gänsehautmoment. Und bei manchem fließen sogar ganz still ein paar Tränen.

Die folgende Viertelstunde lebt vom Ritual. Musik, Willkommen, ein Gebet, noch ein Lied – immer ist es Tochter Zion. Dann das Herzstück der ViertelSternStunde: Eine mit Bedacht und Sorgfalt ausgesuchte Geschichte. Susanne Karmeier sammelt die Texte das ganze Jahr über, mit einem hohen Anspruch und einem beeindruckenden Gespür für Sprache und ihre Wirkung. Dann wird zusammen mit dem Team ausgewählt. „Es sind Geschichten vom Warten und Wünschen, vom Vermissen und Finden, vom Überrascht-Werden und Widerstehen“, erzählt sie.

Mit der ersten Note, meistens vom Akkordeon, tritt der Stelzenmann zur Seite – und hört zu, wie jeder andere auch. „Das wird nie langweilig. Ich spüre die Energie der Kirche und der Menschen – das ist für mich wie Meditation. Alles kribbelt. Es ist wunderbar.“

Thomas Wachsmann, Susanne Karmeier, die Musiker und das ganze Team haben mit der ViertelSternStunde einen Ort geschaffen, an dem Advent spürbar ist. Einen Ort, wo alle Hektik abfällt, wo die Besucherinnen und Besucher sich fallen lassen können. Nachdem der letzte Ton des Akkordeons verklungen ist, bilden sich lange Schlangen rechts vom Altarraum. Susanne Karmeier und ihr Team verschenken Segen - und erstaunlich viele nehmen dieses Geschenk Abend für Abend an und mit nach Hause. Und auch hier wieder: Ein tiefer Blick, eine sanfte Berührung – des Körpers und der Seele. Und Ruhe. So wie Stelzenmann Thomas empfinden es wohl die meisten der Beschenkten: „Die ViertelSternStunde hat keine Abnutzungserscheinungen. Der Zauber entfaltet sich jeden Abend.“


ViertelSternStunde in St. Reinoldi mit Musik + Geschichten + Gebet + Segen: Ein Adventskalender der besonderen Art

1.-23. Dezember / jeden Tag im Advent außer am 2., 9. und 16. Dez. / 18 bis 18.15 Uhr in der Ev. Stadtkirche St. Reinoldi, Ostenhellweg 2, Dortmund.

Unter www.sanktreinoldi.de können Sie sich am Morgen schon Lust auf die Geschichte des Abends machen lassen. 

Weitere Informationen: Susanne Karmeier, verantwortliche Stadtkirchenpfarrerin an St. Reinoldi, Telefon: 0231 9125337 oder per E-Mail: karmeier(at)sanktreinoldi.de.