An der Hövelstraße 23, auf dem Gelände der heutigen Thier-Galerie, lag eine besondere Einrichtung in der Stadt: die Elende. Hinter diesem Namen verbarg sich ein Armenhaus für alleinstehende Frauen. Die Elende hatte durchschnittlich sechs Bewohnerinnen und gehörte zu den Dortmunder Armenstiftungen, die an die Kirchen angebunden waren, spätestens seit der Reformation aber vom Rat beaufsichtigt und verwaltet wurden. Das galt besonders für das Haus an der Hövelstraße, das gesichert für die Zeit zwischen 1571 und 1876 nachgewiesen ist. Erstmals erwähnt wurde 1571 auch ein Kinderhaus an der Olpe. Schon im Mittelalter gab es an den Stadtkirchen und Klöstern so genannte Almosenschüsseln oder Armentafeln als Stiftungen für die Lebensmittelversorgung Armer.
1762 reformierte der Rat die Armen- und Wohltätigkeitsstiftungen. Sie wurden zu zwei „Corpora“ zusammengelegt, die Verwaltung vereinheitlicht und gestrafft. Die Ausgabe von Naturalien wurde durch Geldzahlungen ersetzt. Die Einsparungen kamen dem städtischen Haushalt zugute. 1769 wurde das Gasthaus in ein Waisenhaus umgebaut. So wurde faktisch eine einheitliche Armenverwaltung geschaffen.
Erst die Industrialisierung nach 1840 gab Dortmund wieder überregionale Bedeutung. Zugleich entstand die Soziale Frage, eine Herausforderung, mit der die Evangelische Kirche anfangs ihre Probleme hatte.
Zwischen 1850 und 1914 stieg die Zahl der Einwohner von 8000 auf eine Viertelmillion - eine wahrhaft rasante Entwicklung. Auch die Zahl evangelischer Christen wuchs im selben Zeitraum, nahezu um das Zehnfache: Von 6500 auf 63.000 Gemeindeglieder. Dennoch nahm ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung ab. Denn im Zuge der Industrialisierung wanderten immer mehr Katholiken zu. Heute sind die Konfessionen nahezu gleich groß.
Mit dem Jahrhundertereignis der Industrialisierung tat sich die Evangelische Kirche anfangs schwer. Im Jahr 1841 berichtet der Superintendent noch, dass die evangelischen Gemeinden „bis jetzt noch vor den religiösen und sittlichen Verirrungen des Communismus, Atheismus und Paupurismus [Armutsfrage] mit seinen entsittlichenden Wirkungen“ verschont geblieben seien.
Das änderte sich in den folgenden Jahrzehnten dramatisch, wie kirchliche Berichte zeigen. Im Protokoll der Kreissynode von 1864 heißt es: „In denjenigen Gemeinden, in welchen die Industrie vorherrscht… ist auch die materielle Richtung und ihr… Einfluss auf Frömmigkeit und Tugend vorherrschend, wie dies Beispiele erschreckender Gottlosigkeit, Gewissenlosigkeit, Bosheit und Rohheit… bestätigen.“ Und wenige Jahre später, durch den „massenhaften Zuzug aus allen Weltgegenden“ erkenne man „Land und Leute bald nicht mehr“. Und: „Viele schlimme Elemente kommen dadurch in Orte, welche bisher in mehr oder minder Abgeschlossenheit sich wohl befanden.“ - Namentlich genannt werden Mengede, Bodelschwingh und Derne.
Die Evangelische Kirche nimmt die sozialen Missstände über lange Zeit vor allem als moralische Probleme wahr. So klagt die Kirchengemeinde Hörde, „dass leider so viele Brautpaare in Unehre die Ehe beginnen.“ Aus Eving heißt es: „Ein namhafter Teil der Bevölkerung lebt entfremdet von Gottes Wort, Gebet und kirchlichem Leben. Damit hängt zusammen Unkeuschheit und Trunksucht und mangelhaftes, trauriges häusliches Leben, Vergnügungssucht, Wirtshausleben.“
Dass schlechte Arbeitsbedingungen und geringe Löhne ausschlaggebend sind, wird erst nach und nach verstanden. So findet nachweislich im Mai 1890 erstmals eine kirchliche Sozialkonferenz statt. Da heißt es jetzt ganz unverblümt, die wichtigste Aufgabe sei die Überwindung des Klassengegensatzes, ein freundschaftlicher Verkehr der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, gegenseitige Achtung und Wohlwollen. Sogar die „Errichtung von Arbeiterausschüssen“ und „eine wirksame Arbeiterschutzgesetzgebung“ werden gefordert.
Einzelne gehen noch weiter. Als es im Ruhrgebiet 1904/1905 zu Massenstreiks von Bergarbeitern kommt, beteiligen sich einzelne Pfarrer sogar an Streikversammlungen. Sehr zum Ärger der preußischen Behörden, wie Berichte der Geheimpolizei zeigen.