Die Reinoldikirche ist die Stadtkirche Dortmunds – und war seit dem Mittelalter die Kirche des Rates. Hier wurden Ratsgottesdienste gefeiert, die Ratsglocke geläutet und wichtige Ratsentscheidungen verkündet.
Die dem Stadtpatron Reinoldus geweihte Kirche entstand Mitte des 13. Jahrhunderts auf den Überresten eines älteren Vorgängerbaus. Der gotische Chor wurde zwischen 1421 und 1450 errichtet – auf Beschluss des Rates. Er wurde deshalb auch Ratschor genannt.
Der Chorraum wird gesäumt von zwei Figuren. Karl der Große, der als Stadtgründer Dortmunds gilt, brachte mit dem Ausbau seiner weltlichen Macht die Christianisierung voran. Der Stadtpatron Reinoldus war die Identifikationsfigur der Stadt. Nach ihm benannte sich schon im 13. Jahrhundert die Reinoldigilde, die Vereinigung der reichen Patrizier, die anfangs alle Mitglieder des Rates stellte.
Mit dem Chorraum baute sich der Rat Mitte des 15. Jahrhunderts eine Bühne: Das nördliche Chorgestühl war für die 18 Ratsherren reserviert, im südlichen saß der Klerus. Die hervorgehobene Stellung des Rates unterstreicht die Platzierung des Ratsgestühls – direkt neben dem Reliquienschrein, in dem die Gebeine des Heiligen Reinoldus aufbewahrt wurden. Die Schlüsselgewalt hatte der Bürgermeister.
Die Rolle der Politik für die Kirche zeigte vor allem die Auseinandersetzung um die Reformation. Die bis dahin tonangebenden Patrizier-Familien verteidigten den alten Glauben, die Gildebürger, die die Handwerker vertraten, forderten kirchliche Reformen – und strebten damit auch nach mehr politischer Macht.
An St. Reinoldi machten sich schon früh reformatorische Bestrebungen bemerkbar. Um 1515 gab es bereits Auseinandersetzungen um die Ablassfrage.
1527 forderten Bürger in einer Eingabe an den Rat evangelische Prediger, hatten damit aber nur vorübergehend Erfolg. Im Konflikt zwischen protestantischen Gilden und katholischen Patriziern schlug Dortmund deshalb zunächst einen Mittelweg ein.
Doch 1562 bekannte sich die Reinoldigemeinde als evangelisch. Der Rat erlaubte, dass das Abendmahl, also Brot und Wein für alle Gläubigen, nach dem Wunsch der Gläubigen eingenommen werden kann.
Die Reformation verstärkte die Rolle des Rates für die Stadtkirche. Der Rat übernahm die Rolle des Landesfürsten und des von Luther vorgesehenen Notbischofs. Ein Konsistorium oder der Rat selbst entschied über geistliche Angelegenheiten. Prediger mussten vor dem Rat Treue und Gehorsam schwören.
Für die Menschen jener Zeit bedeutete die Reformation einen tiefgreifenden Einschnitt. Im Mittelalter sah man Kirche und Staat als geistliche und rechtliche Einheit (sog. Corpus Christianum, der christliche Gesamtorganismus mit Christus als unsichtbarem Haupt). Mit der Reformation zerbrach diese Einheit. Zum einen entstand eine zweite Konfession. Nach einem vergeblichen Einigungsversuch im Jahr 1530 (Confessio Augustana, Augsburger Bekenntnis als umfassende Darlegung der lutherischen Theologie mit dem Ziel einer Verständigung) trennte man sich im Augsburger Religionsfrieden von 1555 endgültig. Jetzt galt der Grundsatz cuius regio, eius religio: Wer ein Land regiert, bestimmt auch seine Religion.
Zum anderen betonte Luther die grundsätzliche Verschiedenheit von Staat und Kirche. Die „Zwei-Reiche-Lehre“ meint, dass Gott zwei Regimente eingesetzt hat, ein geistliches und ein weltliches.
Was änderte die Reformation am Verhältnis von Staat und Kirche?
Zu Luthers Zeiten sahen viele, auch Fürsten und Reichsstädte, Rom und den Papst kritisch. Sie galten als verweltlicht und sittlich verwildert. Die Reformation machte es möglich, sich religiös von Rom abzusetzen. Da der Kaiser den alten Glauben verteidigte, konnten die Fürsten ihre politische Eigenständigkeit stärken. So führte der religiöse Streit auch in militärische Konflikte (Schmalkaldischer Krieg 1546-47).
Die Stellung der protestantischen Fürsten wurde aber auch auf andere Weise gestärkt. Als die neue evangelische Kirche nach 1530 entstand, brauchte sie eine Leitung. Papst und Bischöfe lehnte man ab. Weil sie Leitungserfahrung und die notwendigen Mittel hatten, machte man die Fürsten zu Notbischöfen.
Diese Regelung war als Übergangslösung gedacht. Aber nichts ist so langlebig wie ein Provisorium. Das „landesherrliche Kirchenregiment“ hielt schließlich bis 1919, also 400 Jahre.
Dortmund als freie Reichsstadt unterstand direkt dem Kaiser. Darum war hier der Rat auch für die Einführung der Reformation verantwortlich.
… und wie sieht es heute aus?
Wenn die Ratsherren zu Zeiten der Reformation die Reinoldikirche besuchten, hatten sie bevorzugte Plätze im Chorgestühl. Sie war ihre Ratskirche und der Rat hatte als Stadt-Obrigkeit zugleich die Aufsicht über die kirchlichen Fragen.
Wenn heute ein Vertreter der Stadt – zum Beispiel der Oberbürgermeister – die Kirche besucht, sitzt er bestenfalls als Ehrengast in der ersten Reihe. Denn waren damals Staat und Kirche eine Einheit, so sind sie heute auf bestimmte Weise getrennt. Seit 1919 und dann auch im Grundgesetz von 1949 ist der Staat neutral gegenüber allen Religionsgemeinschaften. Allerdings haben die Kirchen eine Sonderrolle. Man spricht darum auch von einer „hinkenden Trennung“.