Von Nicole Schneidmüller-Gaiser
Tanzen in einer Kirche? Romeo und Julia im Gottesdienst? Das klingt ungewöhnlich und unerwartet. Die Evangelische Stadtkirche St. Reinoldi kann schon auf eine längere Zusammenarbeit mit dem Opernhaus in Dortmund zurückblicken – mit dem Projekt „Ballett trifft Kirche“ geht die Innenstadtkirche nun noch einmal neue Wege. Am Sonntag, 30. Oktober, um 11.30 Uhr ist das Ballett Teil des Gottesdienstes in Reinoldi. Susanne Karmeier, Pfarrerin in der Stadtkirche, erzählt, wie es dazu kam:
1. Tanzszenen in einer Kirche, Ballett im Altarraum – das ist nicht gerade das Erste, woran man denkt, wenn man sich einen Gottesdienst vorstellt. Mit dem neuen Format „Ballett trifft Kirche“ greift die Stadtkirche eine Ballettaufführung auf, die aktuell im Opernhaus gezeigt wird. Wie kam es denn zu dieser Idee?
Nach dem letzten Gottesdienst in der Reihe „Oper trifft Kirche“ zu Fernand Cortez im Mai sprach mich der Intendant des Dortmunder Balletts an und äußerte sein Interesse, über ein ähnliches „Gottesdienstformat“ auch mit dem Ballett nachzudenken. Das hat mich sehr gefreut. Und es hat mich gereizt, die wortlose Tanzkunst ins Gespräch mit Liturgie, Bibel und den Suchbewegungen des Glaubens heute zu bringen.
„Tanz in St. Reinoldi“ ist ja nicht neu, hat seit den 90er-Jahren durch meinen Kollegen Michael Küstermann einen überregional bekannten und renommierten Namen. Und das Ballett Dortmund hat auch schon in Kooperation mit dem Bachchor an St. Reinoldi Auftritte mit eigenen Choreografien zu Konzerten gehabt. Aber nun ein Ballett aus dem laufenden Spielplan im Gottesdienst sonntags aufzugreifen und von Seiten des Theaters Tänzer*innen und Kanzelredner einzubringen: Das gab es tatsächlich noch nicht. Wir sind gespannt auf dieses Pilotprojekt und ich bin jetzt schon ein bisschen aufgeregt.
2. Warum gerade „Romeo und Julia“?
Romeo und Julia als Liebespaar stehen für die Lovestorys aller Lovestorys. In diesem Ballett dreht sich alles um die beiden Urmächte, Urkräfte unseres Lebens: Um die Liebe - und um den Tod. Es geht um überbordende Gefühle, um Sehnsucht, um Lust und Leid, Leidenschaft, um „das gute Wollen“ und „beim Bösen rauskommen“. Damit sind wir mitten in christlichen Themen, mitten in biblischen Geschichten, in lebensrelevanten Fragen und Dynamiken des Glaubens.
Zu Beginn der Kooperation wollten die Theaterleute ein Stück mit eindeutig religiösen Bezügen und Themen finden: Saul, Nabucco. Das ist spannend. Aber das braucht es nicht. Alles, was im Theater auf die Bühne gebracht wird, hat ja mit dem Leben, mit unserer Gesellschaft, mit Menschlichem zu tun und kann also auch im Gottesdienst und in der Kirche einen Platz bekommen. Glaube, Gott, Bibel, Theologie - letztlich geht es um das ganze Leben in all seinen Facetten. Also ist eigentlich jedes Stück möglich, wenn wir das existentielle Thema darin hervorholen.
3. Die Kulturschaffenden im Land leiden ja momentan sehr unter den Einschnitten, die Corona mit sich gebracht hat. Und die Kirchen suchen schon seit längerer Zeit nach Formaten, um neue Menschen anzusprechen. Sind solche Kooperationen der Versuch, gemeinsam sichtbar zu bleiben?
Es gehört ja von Anfang an zur Arbeit als Evangelische Stadtkirche in Dortmund, den Kontakt in die Stadt, zu anderen Kulturschaffenden zu suchen und den Kirchraum durchlässig auch für andere Künste zu machen. So miteinander ins Gespräch zu kommen und für, in und mit der „Öffentlichkeit“ im Gespräch zu bleiben. Aber natürlich spielt auch eine Rolle, dass wir uns an diesen beiden zentralen Kultur-Orten in Dortmund gegenseitig stärken.
Und natürlich gab es von Anfang auch die Hoffnung: Gottesdienstbesucher*innen von St. Reinoldi werden auf Oper und Ballett aufmerksam und umgekehrt. Ich habe es tatsächlich schon häufig erlebt, dass auf den Gottesdienstbesuch der Besuch im Theater folgte, um die Produktion im Ganzen zu sehen und weil man die Oper so noch nicht kennengelernt hat. Und ich erlebe es in den Gottesdiensten, dass viele kommen, die sonst eher auf den Plätzen im Theater sitzen.
Aber das ist nicht der zentrale Beweggrund dieser Projekte. Wir wollen das, wofür wir brennen, anderen zeigen, wollen Wege finden, es anderen bekannt zu machen und ans Herz zu legen. Der Funken soll überspringen. Für mich kommt noch ganz persönlich dazu: Ich hab’ wirklich Vergnügen an Kultur aller Art, an Musik, Gesang, Tanz, Film - um mal nur die Genres zu nennen, bei denen es schon Kooperationen im Gottesdienst an St. Reinoldi gibt.
4. Ganz konkret: Was erwartet die Besucher*innen beim Gottesdienst zum Ballett „Romeo und Julia“?
Romeo, Julia und Pater Lorenzo warten im Gottesdienst auf. Der Chorraum wird zur Bühne und es wird getanzt. Ansonsten alles, was zu einem Gottesdienst dazu gehört: Auf Worte und Musik hören, singen, schweigen, beten, die Sehnsucht und die Hoffnung spazieren führen, der Begegnung mit dem Heiligen hoffentlich eine Tür öffnen oder sie zulassen, wie auch immer. Die Kanzelrede hält Tobias Ehinger, Theaterdirektor des Schauspiels Dortmund. Der Predigttext des Sonntags passt so gut, als hätten wir ihn dazu gewählt und als hätte es nicht anders sollen.
5. Noch eine persönliche Frage: Was war die letzte Inszenierung, die Sie im Opernhaus gesehen haben?
Wenn ich mal beim Ballett bleibe: „Die Göttliche Komödie III: Paradiso“ in der vergangenen Spielzeit. Eine Uraufführung des Intendanten Xin Peng Wang selbst. Sehr faszinierend und packend.
- Gottesdienst zum Ballett „Romeo und Julia“
Sonntag, 30. Oktober, um 11.30 Uhr
Ev. Stadtkirche St. Reinoldi, Ostenhellweg 2